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Pressestimmen

Jazz 'n' More Juli 2022

RENÉ MOSELE

Die Wirkung des Moments


Mit neuer Musik, verbunden mit einer fotografischen Arbeit, macht René Mosele ein Statement der Entschleunigung. Von Christof Thurnherr

Die Welt sei schnell geworden, bemerkt René Mosele. Alles sei jederzeit und überall erreichbar, die Befriedigung vieler Bedürfnisse immer nur einen Maus-Klick entfernt. Gepriesen als Vorteil mit Verweis auf gesteigerte Effizienz, scheine die Frage nach dem Preis dieser Entwicklung kaum zu inter- essieren. Was dabei oft zurückbleibe, sei ein Gefühl der Leere, so Mosele: "Auch in der Musik ist vielerorts eine Tendenz in Richtung 'immer schneller, immer komplexer, immer mehr' zu beobachten. Mich persönlich lässt dies oft unbefriedigt zurück. So habe ich gemerkt, dass ich da nicht hinwill."
In dieser Feststellung ist eine der möglichen Reaktionen bereits mitenthalten. Eine Alternative sieht Mosele in der Verlang- samung, im Innehalten, im Fokus auf den Moment. "So bin ich zum Schluss gekommen, mal an einem Punkt hängen zu bleiben, einen Schritt zurück zu machen, um mir gut über- legen zu können, wo ich als Nächstes hinmöchte." Er habe sich absichtlich viel Zeit genommen, um nach denjenigen Stimmungen zu suchen, die ihm tatsächlich etwas wert seien. Dazu habe er u. a. während einer längeren Phase aufgehört, Musik von anderen zu hören. Die Beschäftigung mit der Musik sei zwar geblieben, "aber ich wollte mich bewusst aus dem Fluss der Innovation herausnehmen, mich von Trends fernhalten und dadurch Platz für Eigenes freihalten."

Es waren seine ganz persönlichen Leidenschaften, die ihn schliesslich zu neuer Musik führten. Interessanterweise hätten ihn auch ganz unterschiedliche Interessen immer wieder an denselben Punkt zurückgeführt. Eine dieser Leidenschaften ist die Fotografie, eine Kunst, die bekanntlich viel Zeit braucht. "Wenn man mit fotografischen, d. h. stehenden, Bildern eine Geschichte erzählt, dann erfordert das eine grosse Aufmerksamkeit dem Detail gegenüber und zwar sowohl beim Fotografieren als auch beim Betrachten." Eine zweite von Moseles Leidenschaften ist die Geschichte des Klangs. In seinem Studio steht ein Harmonium, diese Art Hausorgel mit "vorprogrammierten" Registern, angetrieben über zwei fussbetriebene Blasbalgen. "Das Instrument war vor fast 100 Jahren sehr populär. Eine Auseinandersetzung mit ihm bedeutete also ein Eintauchen in die Vergangenheit."

Mosele setzte sich immer wieder an das historische Instrument, um einfach auszuprobieren. Dabei habe ihn rasch fasziniert, dass das Harmonium relativ langsam reagiere, dass der Ton seine Zeit brauche. 

Diese Versuche hätten nicht nur seine Aufmerksamkeit für das Detail geschärft, sondern ihn auch zu einer neuen Herangehensweise an das Spielen geführt. Das Harmonium ist eigentlich falsch gestimmt, es klingt leicht zu tief. Beim Zusammenspiel mit anderen Instrumenten ist das ein Problem. Also entwickelte Mosele eine Methode, um mittels Manipulation der Aufnahmegeschwindigkeiten der verschiedenen Tonspuren die Stimmungen anpassen zu können. Die Verbindung verschiedener Zeitlichkeiten wiederum habe sich dann auf den Produktionsprozess ausgewirkt. Vielleicht ist es ebenfalls Moseles geweckter Sensibilität zuzuschreiben, dass er sich gleichzeitig weg von seinem angestammten Instrument, der Posaune, und hin zur Basstrompete bewegte. "Die Basstrompete ist ein Ventil-Instrument und zudem eine Oktave tiefer gestimmt als die herkömmliche Trompete. Vor allem die leicht andere Bauart ergibt einen dunkleren, weicheren und weniger aggressiven Sound, der mir aktuell sehr entspricht."

Eingespielt hat Mosele seine neue Musik – mit Ausnahme des Schlagzeugs, für das er Mathias Künzli beizog – weitgehend allein. Neben dem Harmonium und der Basstrompete sind aber auch andere Tasteninstrumente – analoge Synthesizer und das Piano – zu hören. Dies ermöglichte ihm, ein breites musikalisches Spektrum einzufangen: vom orchestralen Arrangement im Stück "Empty" bis zur sehr transparenten Komposition "Schifrin in Jaffa".
Allerdings nahmen alle Stücke ihren Anfang beim Harmonium und dessen zentrale Bedeutung thematisierte Mosele in einem parallel zur Musik entstandenen Foto-Projekt. In aufwendiger Arbeit zerlegte er das Instrument in seine Einzelteile und fotografierte diese in einem neutralen Studio-Kontext. Mosele dokumentierte damit nicht nur das Innenleben, sondern seine Bilder beschreiben gleichzeitig die Funktion der einzelnen Teile und deren Bedeutung auf dem Weg zum Klang.

"Musik und Foto-Arbeit kommen nun wirklich von mir und nichts ist von äusseren Zwängen geprägt", fasst er seine Arbeit der letzten zwei Jahre zusammen. Mit Klang und Bild macht René Mosele ein eindrückliches Statement gegen eine der fragwürdigen Tendenzen unserer Zeit.

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